
Ein Drittel aller Menschen arbeitet nur, um Geld zu verdienen. Ein weiteres Drittel arbeitet, um Karriere zu machen. Diese Zahlen stammen aus Yale. Ich gehöre zum Rest und erlebe meine Arbeit als Berufung. Für mich gehört Leben und Arbeiten zusammen. Denn Arbeitszeit ist auch Lebenszeit und um sich das Leben für später aufzuheben, ist es zu kurz. In meiner Arbeit, bei der ich Menschen durch (berufliche) Veränderungsprozesse begleite und bei der Suche nach dem richtigen Leben und der passenden Arbeit unterstütze, finde ich Sinn.
Die Universität Innsbruck forscht zu dem Thema Sinnhaftigkeit in der Berufswelt und kommt zu folgendem Ergebnis:
Der Arbeitende muss seinem Job eine Bedeutung geben und die Frage „Macht es einen Unterschied, dass ich hier an dieser Stelle diese Aufgabe erledige?“ für sich bejahen können. Außerdem will er sich zugehörig fühlen, den Eindruck haben, er sei richtig in seinem Team, mit den passenden Kollegen und einer guten Arbeitsatmosphäre. Die Tätigkeit muss eine Orientierung bieten: Wer arbeitet, muss wissen, wohin sein Job führt, was das Ziel ist. Damit ist die persönliche Entwicklung, aber auch das Unternehmensziel gemeint. Und die Arbeit muss zum Arbeitenden und seinem Lebensstil passen.
Wenn es um einen sinnvollen und erfüllenden Berufsalltag geht, fällt uns direkt die Generation Y ein. Ein dickes Gehalt, Dienstwagen und andere Statussymbole sind vielen Jungen dagegen egal. Der Kontrast zu ihren Eltern ist oft sehr ausgeprägt: Diese haben von ihrem Beruf vor allem erwartet, dass er ihnen einen gewissen Lebensstandard sichert.
Die Suche nach einem Job, der zum Leben passt und erfüllt, treibt aber nicht nur die Generation Y um, gerade Menschen ab 40 denken Leben und Arbeit neu. In meiner Arbeitspraxis erlebe ich oft Menschen, die nach einem einschneidenden Erlebnis wie Krankheit oder der Geburt des ersten Kindes sich nach einem Beruf sehnen, der mehr hinterlässt als ein volles Konto.
Aber nicht nur aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Werte wandelt sich die Arbeitswelt. Auch der demografische Wandel hinterlässt Spuren, technologische Umbrüche machen unabhängiger von festen Arbeitsorten, Arbeitszeiten und Arbeitsaufgaben. Hinzu kommt, dass die Wissensgesellschaft das Unabhängigkeitsbedürfnis, den Wunsch nach Flexibilität und inhaltlich spannenden Chancen steigert und eigenständiges, lebenslanges Lernen voraussetzt. Immer mehr Menschen im Rentenalter wollen nicht in den Ruhestand, sondern schöpfen neue Kraft und Sinn aus ihrer Tätigkeit.
Was bedeutet das für Organisationen? Kann ein Mensch in einer Organisation seine Berufung finden, wenn diese sich nur um ihre Selbsterhaltung und Gewinne kümmert? Oder hat die heutige Organisationsführung ihre Grenzen erreicht? Fühlen sich Menschen nur noch von Organisationen angezogen, die selbst eine klare und feine Sinnausrichtung haben? Sind sie vielleicht aufeinander angewiesen, um sich entfalten zu können? Führt es zu besseren Resultaten, wenn Mitarbeitern nicht mehr vorgeschrieben wird, sich so genau wie möglich an ihre Vorgaben und Zuständigkeiten zu halten, sondern wenn sie eingeladen und ermutigt werden, selber zu denken, selbstverantwortlich zu handeln und eigenständige Entscheidungen zu treffen?
Und welche Auswirkungen hat das auf unsere Gesellschaft? Ist diese mit Blick auf zukunftsfähige Entwicklungen auf einen radikalen Wandel der Lernkultur angewiesen? Muss sie sich auf allen Ebenen, vom Kindergarten bis zu den Universitäten und Betrieben, darauf einstellen, dass wir neu zusammenarbeiten?
Wir leben in einer außergewöhnlichen Zeit. Wir denken Leben und Arbeit neu.
Foto: Unsplash, Javier Calvo
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